Yellow and Green

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03.04.2020

Sehr geehrte Traumdeuter,

haben Sie Dank für eine Einladung, die anzunehmen mir tatsächlich gestattet ist, bedarf es doch dafür nicht des Aufenthaltes in einem gemeinsamen Raum. Nicht? Doch, natürlich! Eröffnet mein Traum doch einen Raum, den ich mit Ihnen, die (oder: der) Sie ihn lesen werden, teile. In diesem Sinne: Hereinspaziert!

In freudiger Erwartung

M

Traum: Gelb und Grün

Tja, da sitze ich nun. Allein. Und fühle mich seltsam zurückgelassen, obwohl ich es doch bin, die zurückgeblieben ist, freiwillig, als der Zug sich wieder in Bewegung setzt. Ich erinnere mich nicht mehr genau, ob ich die Notbremse zieh oder ob mein Impuls, die Bremse zu ziehen, mit dem plötzlichen Halt des Zuges zusammenfällt. Letztendlich spielt das wohl auch keine Rolle mehr. Der Zug steht still, auf offener Strecke.

Und ich übergebe den Koffer, den ich die Reise über mit mir führe und der unterwegs immer schwerer wird. In dem Moment, als der Zug mit einem fühlbaren Ruck stehenbleibt, schaue ich aus dem Fenster und sehe eine Gestalt über das weite gelbe Feld gehen. Auf den Zug zu.

Sie nähert sich mit dem Tempo eines Spaziergängers, stetig aber ohne Hast. Doch geschieht ihre Annäherung seltsam sprungartig. Jeder meiner Wimpernschläge bringt sie ein Stück näher an den Zug, ohne dass ich die Linie ihrer Bewegung verfolgen kann. Solange ich hinschaut, bewegt sie sich. Während der Dauer jeder meiner Wimpernschläge jedoch muss jeweils eine ungeheure Beschleunigung stattfinden. Und so treffen wir aufeinander just in dem Moment, in dem ich auf der hinteren offenen Plattform des Zuges stehe, bereit zum Absprung.

Noch im Moment des Sprunges reiche ich ihm den Koffer und nehme vage sein Nicken wahr. Ja, er wird nun ins Abteil gehen, den Koffer erneut auf die Ablage über den Sitzen legen, sich auf den Platz am Fenster setzen, der bis vor wenigen Momenten der meine gewesen ist. Nun wird er ihr gegenüber sitzen. Und an meiner statt die Reise mit ihr fortsetzen.

Allein auf weiter Flur. Die Stoppeln des abgeernteten Getreides stechen in meine Fesseln. Ich höre den Zug noch anfahren, dann verschwindet er hinter einer Kurve, die bis gerade eben nicht dort gewesen ist. Unversehens finde ich mich wieder, allein, zu Hause. Die Hitze jedoch, der ich habe entkommen wollen, ist mit mir gekommen. Das habe ich nicht bedacht, als ich so unbedacht abgesprungen bin. Dieser Hitze entkommt man nicht. Zumindest nicht so.

Da sind wir also: die Hitze und ich. Ich und die Hitze. Die Hitze in mir und ich in der Hitze. Und belauern uns. Denn ein Entkommen gibt es nicht. Auch die Nacht bringt keine Abkühlung. Die Hitze kriecht mit unter das Laken, in die Träume. Irgendwann ergebe ich mich, lasse mich überfluten, von dem, was dem Element des Wassers so fern ist. Und springe kopfüber in die, wie ich hoffe, kühlen Fluten der Theorie.

Doch die Buchstabensuppe erweist sich nicht als die ersehnte Kaltschale. Aus allen Düsen dieses intellektuellen Whirlpools feuern die Düsen heiße Ströme. Umhergewirbelt im Strudel des Kaumverstehens kommen die Fragen an die Oberfläche: Wo sind die beiden nun? Noch im Zug? An welcher Station werden sie aussteigen, wohin gehen? Wo machen sie Quartier? Wie sieht es dort aus? Und: Was tun und sprechen sie?

Wünsche tauchen ungebeten auf: der, mich erneut auf die Reise zu begeben. Ihnen nachzureisen. Vielleicht gibt es ja dort noch ein freies Zimmer für mich? Vielleicht freuen sie sich über Besuch?

Zwiesprache habe ich gehalten mit meinem Schutzengel. Gesagt hat sie nichts. Aber mehr wie ein Puck, denn wie ein Engel ausgesehen.

Nun sitze ich vor meinen Koffern und versuche, die richtige Wahl zu treffen. Den alten oder den neuen? Den mit dem vielen Inhalt oder den leeren? Ich wähle den leeren. Darin ist viel Platz für Neues …

Nachts gehe ich los, den glockenförmigen Strohhut fest auf den Kopf gedrückt. Sein rotes Band flattert in einer plötzlichen Briese. Die Rollen des Koffers durchbrechen schmerzhaft die nächtliche Stille.

Und dann bin ich da. Wieder eine weite flache Ebene. Blau ist die Komplementärfarbe zu Gelb, denke ich. Blau, ein fast nachtschwarzes Blau erstreckt sich um mich herum bis – nein, einen Horizont gibt es hier nicht. Auch kein Oben und Unten, Rechts oder Links. Nur die Ausrichtung meines Körpers in diesem dunklen Blau bestimmt eine Richtung.

Vor mir ein schimmernder Schlieren. Die gläserne Karusselltür dreht sich mit rasender Geschwindigkeit um ihre Mittelachse. Nur die Achse fängt von irgendwo Licht auf und reflektiert es auf die gläsernen Flügel. Blau in Blau. Wohinein führt diese Tür? Erkennen kann ich nichts. Nur sie, die Tür. Bevor mich der Drehschwindel vollständig ausfüllen kann, werfe ich den Koffer aufs Geratewohl hinein in die schwirrenden Flügel – und hechte ihm nach. Nur, um im fast demselben Augenblick wieder dort zu landen, wo ich gerade noch abgesprungen bin, der Koffer folgt mir einen Wimpernschlag später.

Meine Hände greifen nach der Strohkappe, wollen sie fester auf den Kopf drücken. Doch im Flug haben sich die roten Bänder unter meinem Kinn zu einer großen Schleife verknotet. Rotkäppchen. Und der Wolf? Aus den Türflügeln heraus lehnt eine Gestalt ihren Oberkörper. Ein Schopf schwarzer Haare über weißem Gesicht. Die linke Hand ausstreckend, wedelt er zu mir herüber. Und dreht sich mit der Tür. Sie müsste ihn doch köpfen, denke ich verwundert, oder in der Mitte entzweien? Sein Mund öffnet sich und mit jeder Drehung dringt ein Wort zu mir: DU. MUSST. NUR. WOLLEN.

Mein Zorn ist kalt, eiskalt und blau. Einmal zu oft, dieser Satz. Doch dieses Mal mache ich nicht kehrt, der Zorn beflügelt mich und zieht mich im rechten Moment durch die Tür auf die andere Seite. Seite von was? Egal. Innen, ja, jetzt gibt es ein Innen, riecht es staubig – und alt. Die Rezeption liegt verwaist in der Halle. Sonst nichts. Aus der Klingel auf dem Tresen dringt nur ein Knirschen. Ich gehe weiter ins Irgendwo. Ein langer Flur, rechts und links Türen, alle geschlossen. Mein Koffer gleitet sanft hinter mir her, nur ab und an ein seltsames Rucken meiner Hand am Koffergriff.

Unvermittelt öffnet sich links neben mir eine der Türen, ein alter Mann schlurft auf den Flur. Im Lichtschimmer sehe ich zurückgestriegeltes gelbes Haar, eine blaue ausgeleierte Hose hängt ihm auf den dürren Hüften. Im Vorbeischlurfen zieht er sie hoch bis unter die Achseln, wendet sich zu mir um, winkt einladend mit einer knochigen Hand. Die Tür fällt wieder ins Schloss, der Lichtschimmer erlischt.

Ich folge den schlurfenden Schritten und dem leisen Gebrummel: Wir haben auch einen Swimming Pool, im Keller. Mein klappriger Führer geleitet mich bis zu einer großen Falttür, öffnet diese und schiebt sie überraschend behände zu beiden Seiten an die Wände. Vor mir öffnet sich ein geräumiger Saal, an seiner Längsseite eine Fensterfront vom Boden bis zur Decke. Graues Licht dringt herein. Und ich erkenne: ein Speisesaal. Auf den vielen eingedeckten Tischen stehen vergilbte Stoffservietten, zu Bischofsmützen gefaltet. Brüchige Bestecktaschen aus verblichenem hellgelbem Bast liegen neben den schweren weißen Tellern und milchig-stumpfen Gläsern.

Der Alte deutet auf einen der Tische. Ich verstehe: Hier soll ich mich setzten und warten. Warten worauf? Auf wen? Sind die beiden hier? Werden sie kommen und mich begrüßen? Ich setze mich, den Koffer neben mir. An seinen Rädern klebt etwas. Noch im Hinunterbeugen schrecke ich zurück. Das sind Beine. Dünne haarige Insektenbeine. Daher also das seltsame Rucken meiner Hand am Koffergriff. Aber sie stehen starr. Ich kann wieder atmen.

Warten also. Alles scheint stillzustehen. Es ist leise, sehr leise. So leise, dass das Pfeifen in meinen Ohren bald meinen gesamten Körper ausfüllt. Was will ich hier? Will ich wirklich hier sein?

Noch im Aufwachen höre ich meinen Schrei. Nein!

Heute morgen steht mein Koffer, neu wie gestern, im Flur. Als ich ihn öffne, sehe ich, ich habe nichts eingepackt außer dem Wunsch: dazuzugehören.

Deutungen. Interpretationen. Assoziationen. Durcharbeitungen. Spuren.

Deutung der Traumstation vom 06.04.2020

Podcast der Traumstation (Traum 31) mit gelesenem Traum “Hotel Abgrund” und Deutungsgespräch dazu, das auch auf Traum “Gelb und Grün” Bezug nimmt.